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Scharia fördert Ungleichheit
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Übersetzungen dieses Artikels:
Der Erzbischof von Canterbury hat mit seinem Votum für eine beschränkte Anwendung der islamischen Scharia eine heftige Debatte entfacht. Auch viele Muslime distanzieren sich von dem Postulat.
Seit Gordon Brown britischer Premierminister wurde, weht der Union Jack über Whitehall. Die Ministerien wurden angehalten, rund ums Jahr die Flagge zu hissen. Die patriotische Geste sollte zu dem neuen Gefühl von «Britishness» verhelfen, von dem Gordon Brown seit längerem spricht. Doch was ist Britishness? Die Frage wird in Debatten über kulturelle und nationale Identität im Vereinigten Königreich wieder und wieder gestellt. Ohne dass man sich einigen konnte auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der die Nation zusammenhält. Seit aber der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, letzte Woche ein politisches Minenfeld betrat, wird zumindest eines klar: Wir wollen keine Scharia.
Das geistliche Oberhaupt der englischen Staatskirche hatte in einer Rede vor Juristen und in einem Interview mit der BBC angeregt, dass in Grossbritannien Elemente des muslimischen Scharia-Rechts vor allem bei Familien- und Finanzdisputen anerkannt werden sollten. Die Rede provozierte eine Koalition zwischen Kräften, die man bisher als wenig kompatibel betrachtet hatte. Labour, Konservative und Liberaldemokraten waren sich einig und mit ihnen die Vertreter der verschiedenen Minoritäten und Glaubensgemeinschaften: Das Land hat eine Gesetzgebung, und die gilt für alle.
Eine «Hinterzimmer-Justiz»
Diese Ansicht wird auch in weiten Teilen der muslimischen Gemeinde vertreten, so vom Muslim Council of Britain. Indes räumt die grösste Dachorganisation muslimischer Verbände ein, man wünsche Gleichbehandlung mit andern Glaubensgemeinschaften, vor allem mit der jüdischen. Deren Beth Din regeln zivile und kommerzielle Zwiste, sind aber dem britischen Gesetz unterstellt. Tatsächlich operieren in Grossbritannien derzeit auch ungefähr 30 Scharia-Gerichte, und die Zahl der Muslime, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, wächst. Sie sind indes nicht im britischen Recht verankert, also technisch unzulässig, und ihre Beschlüsse gelten nur so lange, als die Betroffenen sie akzeptieren.
Liberale muslimische Gruppierungen warnen vor einer Etablierung solcher Gerichte. Haras Rafiq vom Sufi Muslim Council, der sich unter anderem mit einem Online-Portal gegen die Radikalisierung von jugendlichen Muslimen engagiert, sorgt sich um eine drohende «Hinterzimmer-Justiz». Man könne diese Gremien nicht mit den jüdischen Beth Din vergleichen. «Die Juden sind seit 300 Jahren in diesem Land, und ihre Richter sind Experten in britischem Recht. Viele Scharia-Richter aber haben keine Ahnung von der hiesigen Justiz.» Fraglich sei, welche Auslegung der Fiqh, der muslimischen Gesetzgebung, angewendet werde. Es gibt im sunnitischen Islam grundsätzlich vier Rechtsschulen und innerhalb dieser zahlreiche Auslegungen; gerade darin liegt, laut Irfan Al Alawi, dem Internationalen Direktor vom Centre for Islamic Pluralism, die Gefahr für den Zusammenhalt der Gemeinde. Es sei nämlich keineswegs garantiert, dass die Richter sich in allen vier Schulen auskennen. «Die Einführung von Scharia-Gerichten in Grossbritannien würde ein Chaos unter den Muslimen anrichten», sagt er. «Die Leute kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen mit unterschiedlichen Rechtsprechungen - welche soll denn nun gelten?» Scharia-Gerichte, so glaubt er, würden die Ungleichheit unter den Muslimen fördern und der Willkür Tür und Tor öffnen. «Und an wen appellieren etwa Frauen, die sich in einem Scheidungsverfahren ungerecht behandelt fühlen?»
Glaube - aber ohne Zwang
Die Scharia lässt sich seiner Meinung nach nicht zur Hälfte oder zu einem Viertel anwenden, und die offizielle Anerkennung könne die Schleusen öffnen für weitergehende Eingriffe in die persönliche Freiheit wie Schleiergebot oder Fahrverbot für Frauen. «Scharia ist eigentlich gebunden an die Errichtung eines islamischen Staates.» Eine Forderung, die von den islamistischen Extremisten getragen wird und von der sich der weitaus grösste Teil des Muslime scharf distanziert. «Die Mehrheit der britischen Muslime liebt das britische Recht», sagt Haras Rafiq. «Genau dieses Gesetz erlaubt uns nämlich, unsere Religion so zu pflegen, wie es von uns verlangt wird. Niemand zwingt mich hier, Alkohol zu trinken und Schweinefleisch zu essen, ich kann Halal-Fleisch bekommen, meine Fasten- und Gebetszeiten einhalten, sogar Beschneidung von Knaben ist erlaubt.»
Der Erzbischof habe ihnen mit seiner Rede einen Bärendienst erwiesen, hörte man Muslime erst klagen. Nicht sie haben die Debatte in Gang gesetzt und sie schon gar nicht emotional angeheizt; das taten vorab die Boulevardmedien. Die Geister sind gerufen, und dem können liberale Muslime wie auch Vertreter der anglikanischen Kirche doch einen Sinn abgewinnen: Die Debatte ist auf dem Tisch, nun sollte sie vernünftig geführt werden.
Lilo Weber
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